Vögel waren die ersten Chili-Fans
Die kleinen Sträucher mit den leuchtenden Beeren müssen schon vor Jahrtausenden den Bewohnern Süd- und Mittelamerikas aufgefallen sein. Gefunden hat man jedenfalls 10.000 Jahre alte Chili-Samen in archäologischen Stätten Perus und Mexikos. Ob man diese Pflanzen schon anbaute oder die begehrten scharfen Früchte nur gesammelt hatte, ist fraglich. Wilde Verwandte finden sich jedenfalls noch heute im östlichen Hochland Boliviens, im angrenzenden tropischen Amazonasgebiet oder in Mexiko und man vermutet, dass sich die Chilis zuerst durch Vögel über den ganzen Kontinent verbreitet hatten. Unabhängig voneinander haben dann Menschen an mehreren Stellen Lateinamerikas Wildformen ausgewählt und weiter kultiviert.
Leuchtend rot und feurig – wer könnte da wiederstehen
Viel später berichteten die erstaunten spanischen Chronisten davon, wie unentbehrlich und hochverehrt Chilis in der Esskultur der Inkas und Azteken waren. Sie gehörten zu jedem Gericht so selbstverständlich wie Salz und Mais. Und auch die Spanier konnten nicht wiederstehen: “…hatten sie sich einmal an diesen Geschmack gewöhnt, zogen sie ihn allen übrigen orientalischen Gewürze vor“ berichtet Garcilaso de la Vega „El Inca“ in seinem Commentarios Reales 1609.
Schärfe kann man gar nicht schmecken
Jeder kennt diese atemberaubende Empfindung die Chili bewirkt, dieses plötzliche Hitzegefühl, was einem die Tränen in die Augen und den Schweiß auf die Stirn treibt.
Dabei wird „Scharf“ eigentlich nicht als Geschmack wahrgenommen, das Capsaicin (das ist der Stoff, der für die Schärfe verantwortlich ist) reizt die gleichen Nervenenden, die auch auf Hitze über 60°C mit Schmerz reagieren. Das setzt eine Gegenreaktion in Gang, die für Abkühlung sorgen soll, eben Schweißausbruch und gesteigerte Durchblutung, man macht unwillkürlich den Mund auf und sorgt für Luftkühlung – und irgendwann lässt die Reaktion dann nach.
Menschen die häufig Chilis essen gewöhnen sich allerdings daran. Um den gleichen Effekt hervorzurufen braucht es dann mehr Capsaicin, also schärfere Chilis. So erklärt sich auch, warum die Wirkung nicht bei allen Menschen gleich ist.
Wie scharf darf’s denn sein?
Der Chili-Schote ist leider nicht anzusehen, wieviel Capsaicin enthalten ist. Um einschätzen zu können, wie scharf eine Chilisorte ist, sind heute zwei Systeme gebräuchlich.
Die Einteilung der Schärfe in Scoville, abgekürzt SHU (= Scoville Heat Units; benannt nach dem Entwickler Willbur L. Scoville). Basis dieser Bestimmung ist die Konzentration an Capsaicin einer Chiliprobe. Ursprünglich mussten Testpersonen schmecken, welche Menge Wasser (in ml) nötig ist, damit man die Schärfe einer Probe nicht mehr spürt. Das ergab dann Werte zwischen „0“ (nicht scharf, kein Capsaicin) und „16.000.000“ (reines Capsaicin). Mit größerer Genauigkeit (und ohne Testpersonen zu quälen) bestimmt man heute den Gehalt an Capsaicin im Labor.
Beim Würzen in der Küche ist diese Genauigkeit nur begrenzt hilfreich. Vergleicht man Chilifrüchte einer Sorte miteinander, weisen sie natürlicherweise große Schärfeunterschiede auf. Deshalb gibt man auch immer Schärfebereiche an, z.B. bei Habaneros: 80.000 – 570.000 SHU. Also, ohne vorsichtiges Abschmecken geht’s beim Kochen trotzdem nicht!
Die zweite Einteilung ist grober, aber mit ihren kleineren Zahlen übersichtlicher und ausreichend küchentauglich: Verwendet wird eine Einstufung in 10 Schärfegrade (SG). Auch hier beginnt die Skala mit 0 (keine Schärfe), steigert sich langsam bis 6 (hier wird es richtig scharf) und ab 10 (es brennt maximal). Es gibt für das menschliche Schmerzempfinden dann keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Schärfegrad 10 entspricht in etwa 100.000 Scoville und höher. Da es aber Chilisorten mit noch höheren Capsaicin-Gehalten (mehr als 1 Millionen SHU) gibt, hat man die Skala erweitert auf 10+ bis 10+++
Beide Skalen lassen sich nicht einfach ineinander „umrechnen“, Tabellen (z.B. im Internet) stimmen in ihrer Einteilung oft nicht überein. Hier im Text wird bei Sortenbeschreibungen der Schärfegrad hinter der Sorte (SG) angegeben.
Chili oder Paprika?
Gar nicht so einfach abzugrenzen, denn botanisch gehören alle Chilis zur Gattung „Capsicum“. Fünf Arten dieser Gattung wurden schon sehr früh in Lateinamerika als Kulturpflanzen angebaut.
Paprika ist eigentlich eine ungarische Bezeichnung für die weltweit häufigste Chili-Art „Capsicum annuum“. Und hierzu gehören eben auch die mildschmeckenden, großen und fleischigen Gemüsepaprika, eine ungarische Züchtung des 19. Jahrhunderts. Scharf schmecken dagegen Jalapeño (etwa SG 5-6), deutlich übertroffen werden diese von Cayenne (etwa SG 8) und den kleinen runden Früchten der Chiltepin (etwa SG 9), einer mexikanischen Wildform.
Liebhaber feuriger Schärfe finden in der Art „Capsicum frutescens“ größere Auswahl, hierzu gehören die Sorten Tabasco (Grundlage der bekannten Soße; etwa SG 9), afrikanische Bird’s Eye (SG 10) und Thai-Chili (etwa SG 9).
Höllisch scharfe Schoten hat die Art „Capsicum chinense“ hervorgebracht. Die bekannteste, noch genießbare, Sorte ist sicher Habanero (SG 10). Die schärfsten Sorten der Welt finden sich in dieser Gruppe, an der Spitze steht momentan Carolina Reaper (SG 10+++, bis zu 2 Mill. Scoville). Zum Essen sind solche Chilis nicht mehr zu empfehlen, man nutzt sie eher zur Produktion von „Pfefferspray“.
Vertreter der beiden anderen alten Kulturformen „Capsicum baccata“ und „Capsicum pubescens“ sieht man hier selten. Sortennamen, die mit Aji (in Peru: synonym für Chilischote) oder Rocoto (bereits von „El Inca“ 1609 erwähnt) beginnen, weisen auf ihre Herkunft aus Peru und Bolivien hin. Dort findet man eine Vielzahl sowohl milder als auch sehr scharfer Sorten.
Anspruchslos und Anpassungsfähig – die unkomplizierte Eroberung der Küchenkulturen
Kaum hatte Kolumbus die Chilis nach Spanien gebracht, verbreiteten vor allem portugiesische Seefahrer diesen „spanischen Pfeffer“ nach Afrika und den fernen Osten, überall nahm man ihn bereitwillig in die jeweilige Esskultur auf. Vermutlich über die Osmanen kam die Art im 16. Jahrhundert zurück nach Europa, genauer nach Ungarn, das sich in den folgenden Jahrhunderten zu einem Zentrum des Paprikaanbaus entwickelte.
Seltsamerweise scheint die indigene Küche der „First Nations“ in Kanada und den nördlichen USA den Chili nicht verwendet zu haben. Erst die Einwanderer aus allen Teilen dieser Welt brachten den Chili wieder zurück auf den Heimatkontinent und machten ihn auch im Norden Amerikas populär.
Zuletzt ist Chili auch in bundesdeutschen Küchen heimisch geworden. Zaghaft setzte sich Paprika („ungarischer Pfeffer“) als Gewürz erst in den 50iger Jahren durch und Chili war damals noch exotischer als Curry.
Der Erfolg der Chili-Pflanze lag nicht nur an der intensiven Schärfe, sie sind außerdem leicht aus Samen zu ziehen und unkompliziert weiter zu züchten. So entstand weltweit eine riesige Zahl neuer Chilisorten. Trotz ihrer Herkunft aus tropischen und subtropischen Klimazonen, lassen sie sich auch hervorragend in unseren Breiten als sommerliche Kübelpflanze auf dem Balkon oder im Gewächshaus ziehen. Selbst ein Überwintern ist mit wenig Aufwand möglich.
Die inneren Werte
Paprika und Chilis gehören zu den vitaminreichen Gemüsearten. Herausragend ist der Gehalt der reifen, roten Früchte an Vitamin C und verschiedenen Carotinoiden. Beide wirken als Antioxidans entzündungshemmend und krebsvorbeugend. Damit verhindern sie möglicherweise, dass zu große Mengen Capsaicin sich schädlich auf die Magenschleimhaut auswirken. In kleinen Mengen wirken Chilis dagegen anregend auf die Bildung von Verdauungssäften.
Frisch, geschnitten, gemahlen, geräuchert, mit Samen oder ohne?
Das kommt auf das gewünschte Geschmackserlebnis an. Frische Chilis enthalten noch ihre ganze Vielfalt an leichtflüchtigen Aromen, durch längeres Erhitzen verschwinden diese und übrig bleibt nur noch die Schärfe. Möchte man es besonders feurig, kocht man die ganze oder grob zerstoßen Chilischote mit. Fein gemahlenes Chilipulver erleichtert eine genaue Dosierung.
Durch Trocknen und langes Aufbewahren in gemahlener oder zerstoßener Form verlieren Chilis ebenfalls an Aroma, andererseits nimmt ihre Schärfe deutlich zu. Das gilt auch für Paprikapulver, das es ja auch in unterschiedlichen Schärfegraden gibt: „Rosenpaprika“ ist schärfer, „Edelsüß“ eher aromatisch-mild.
Räuchern der Schoten vor dem Trockenen ergänzt die Schärfe perfekt und verbessert die Haltbarkeit. Bekannte Beispiele sind der eher milde Pimentón de la Vera aus Spanien (Extremadura), der etwas schärfere Piment d‘Éspelette aus dem französischen Baskenland und der mexikanische Chipotle-Chili (SG 6) aus geräucherten Jalapeños.
Capsaicin sitzt vor allem in den Samen und dem samentragenden Gewebe! Kratzt man die Samen vor dem Einsatz in der Küche heraus wirkt auch eine scharfe Sorte milder. Bei Chili-Strings ist beides entfernt, sie sind daher weniger scharf, dafür auch optisch ein Genuss.
Eine einfache Methode Schärfe und fruchtige Frische zu vereinen
Schaut man in die Länderküchen dieser Welt, fällt auf, dass Chilis oft nicht direkt in den Gerichten verarbeitet werden sondern als Extra-Zutat zum Selbstdosieren auf die Tafel kommen. Pulver, Paste oder Soße, oft noch zusätzlich verfeinert mit anderen Gewürzen, wie Harrissa, Ajvar, Sambals, Salsas, peruanische Ajis, Tabascosoße, es ist unmöglich alle zu kennen und aufzuzählen.
Ein Lieblingsrezept für die scharf-aromatische Ergänzung vieler Speisen kommt aus Thailand. Es ist im Handumdrehen gemacht. Je nach vorhandenen Zutaten, so wie der Chilisorte oder der Kräuter, lässt es sich verändern und führt immer zu geschmacklich interessanten Ergebnissen.
„Naam Plaah Prik“ mit Variationen
Zutaten:
Saft einer Zitrone (oder Limette)
4 frische Thai-Chilischoten (oder 1 Jalapeño)
2 Knoblauchzehen (oder 1 feingehackte rote Zwiebel)
1 Stängel frischen Koriander (ersatzweise Petersilie oder Kerbel)
einige Spritzer Fischsauce
Zubereitung:
Chilis waschen, entkernen und in dünne Ringe schneiden (sicherheitshalber mit Handschuhen!). Anschließend Knoblauch schälen, fein hacken und zusammen mit Chilis, Zitronensaft und Fischsauce vermischen. Kräuter waschen, mit Stängel sehr fein wiegen und dazugeben.
Das passt eigentlich zu allen Gemüse-/Kartoffel- und Reisgerichten. Lecker ist auch: einen Teelöffel von dieser Mischung in den Suppenteller geben - dann kommt eine Portion Suppe darüber. Das muss nicht die klassische Kokossuppe mit Zitronengras sein, auch Linsen- oder Bohnensuppe bekommen dadurch einen angenehm exotischen Kick.
Text und Rezept: Birgitta Seyfried-Lubs
Fotos von Roland W. Luthi