Wenn im zeitigen Frühjahr die ersten zarten Blüten durch das Laub des Vorjahres dringen, beginnt die Zeit der Stinsenpflanzen. Diese farbenfrohen Frühblüher sind nicht nur ein optischer Genuss nach einem langen Winter – sie erzählen auch von der kulturellen Landschaft Europas, insbesondere im norddeutschen Raum. Schleswig-Holstein mit seinen alten Gutshöfen, Herrenhäusern und historischen Parkanlagen bietet eine ganz besondere Bühne für diese botanischen Kostbarkeiten.
Was sind Stinsenpflanzen?
Der Begriff „Stinsenpflanzen“ (auch „Stinzenpflanzen“ genannt) stammt ursprünglich aus den Niederlanden. Dort bezieht er sich auf „Stinzen“, also steinerne Häuser oder befestigte Herrensitze aus dem Mittelalter. Um diese Anwesen herum wurden Zier- und Nutzgärten angelegt, in denen man exotische oder ungewöhnliche Pflanzen kultivierte. Viele dieser Pflanzen waren Frühblüher, die sich mit der Zeit verselbständigten und in der Umgebung verwilderten, ohne jedoch wirklich wild zu sein. Man spricht daher auch von „verwilderten Gartenpflanzen“.
Stinsenpflanzen sind meist mehrjährige Zwiebel- oder Knollengewächse, die sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte an ihren Standorten halten. Sie brauchen offene, oft nährstoffreiche Standorte, wie sie in Parks, auf Wiesen oder an Waldrändern zu finden sind. Ihre Blütezeit beginnt oft schon im Februar und dauert bis in den Mai.
Historischer Hintergrund
Ab dem 16. Jahrhundert kamen Tulpen, Narzissen, Krokusse und andere Blumenzwiebeln in die Gärten, sie wurden gezielt importiert, vor allem aus den Niederlanden und Frankreich. Der florale Reichtum galt für den Adel und wohlhabende Bürger in der frühen Neuzeit als Zeichen von Wohlstand und Weltläufigkeit.
In den barocken und später romantischen Landschaftsgärten Schleswig-Holsteins fanden die Zwiebelblüher ideale Bedingungen: halboffene Wiesenflächen, lichte Gehölze und wenig gestörte Böden. Werden sie sich selbst überlassen, können sie sich gut vermehren, ganze Flächen besiedeln und sich überraschend langlebig behaupten.
Heute sind Stinsenpflanzen ein botanisches Kulturgut, das sowohl Gartenfreunde als auch Naturschützer begeistert.
Im eigenen Garten verwildern die Arten natürlich ebenfalls, wer Platz und ein bisschen Geduld hat, kann sich einen Blausternchen-Teppich oder eine gelbe Narzissenwiese pflanzen. Die Zwiebeln werden im Herbst gesetzt, sie sind anspruchlos, freuen sich jedoch im Frühling durchaus über eine Nährstoffgabe.
Wo man Stinzenpflanzen in Schleswig-Holstein erleben kann
Stinsenpflanzen sind auf alten Parkanlagen, Friedhöfen, Gutswiesen oder in historischen Dorfkernen zu finden – oft an Orten, die über Jahrhunderte kaum umgestaltet wurden. Einige besonders lohnenswerte Plätze in Schleswig-Holstein sind:
- Schloss Gottorf (Schleswig)
Im Schlosspark (Neuwerk) blühen im Frühling große Bestände von Schneeglöckchen, Winterlingen und Krokussen. - Alter Botanischer Garten Kiel
Zwar kein sehr historischer Standort, aber eine schöne Sammlung vieler Stinsenarten - besonders schön ist die Blüte der Blausternchen, Märzbecher und Lerchensporne dort. - Aber auch Gut Pronstorf (Kreis Segeberg) und das Kloster Preetz (Kreis Plön), der Fürstengarten Lauenburg, Gut Kamp (Kreis Segeberg) und Hochdorf (Dithmarschen) sowie der Husumer Schloßpark lohnen den Besuch im Frühjahr!
Typische Stinsengattungen
Die Vielfalt der Stinsenpflanzen ist beeindruckend, hier ein Überblick über die wichtigsten Gattungen und ihre Ansprüche im (eigenen) Garten:
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Galanthus (Schneeglöckchen)
Galanthus nivalis, aber auch die gefüllte Form ist häufig verwildert anzutreffen.
Standort: sonnig bis halbschattig
Besonderheiten: die Zwiebeln dürfen nicht austrocknen
Es ist möglich, den eigenen Traum vom Schneeglöckchen-Blütenmeer zu forcieren, in dem man die Horste nach der Blüte immer wieder teilt und sie verpflanzt. So wird relativ schnell ein guter Bestand aufgebaut. -
Eranthis (Winterlinge)
Leuchtend gelb mit typischem Kragen aus grünen Hüllblättern – sie erscheinen fast gleichzeitig mit den Schneeglöckchen. Standort: sonnig bis halbschattig
Tipp: Die Knollen der Winterlinge sollten eingeweicht werden, bevor sie gepflanzt werden. - Crocus (Krokusse)
Sowohl Wildarten als auch Zuchtformen sind verbreitet. Violette, weiße oder gelbe Blüten. Es gibt sehr frühe und spätere Krokusse, wie all diese Frühblüher sind auch sie wichtig für Insekten als frühe Nahrungsquellen. Schön ist der lila Crocus neapolitanus im Husumer Schloßpark - Narcissus (Narzissen, Osterglocken)
Von der klassischen Gelben Narzisse (Narcissus pseudonarcissus) bis hin zu historischen Sorten und Dichternarzissen. - Scilla (Blaustern)
Himmelsblauer Frühlingsbote, oft flächig wachsend, besonders unter lichten Laubbäumen. - Corydalis (Lerchensporn)
Zart wirkend, aber durchsetzungsfähig. Rosa, violette oder weiße Blüten, meist auf feuchten, humosen Böden.
Standort: gerne halbschattig - Leucojum vernum (Märzenbecher)
Große weiße Glockenblüten
Standort: halbschattig, frische bis feuchte Böden
Märzbecher sind schwer aus im Herbst gepflanzten Knollen zu ziehen, die Knollen dürfen nicht austrocknen. Lieber, wie bei den Schneeglöckchen beschrieben im Frühling teilen und verpflanzen - Hyacinthoides/Scilla non-scripta Waldhyazinthen
Auch die englischen Blue Bells sind in einigen Parks zu finden. Sie bilden dichte blaue Teppiche
Standort: halbschattig - Colchicum (Herbstzeitlose)
Sie sehen aus wie große Krokusse, blühen im September-Oktober und bekommen ihre Blätter im Frühjahr. Sie verwildern in halbschattigen und sonnigen, nicht zu trockenen Lagen. - Ornithogalum nutans (Milchstern)
kommt häufig verwildert vor, dabei ist wichtig, dass die Wiesen, in denen er steht, nicht zu früh gemäht werden.
Zu den Stinsenpflanzen werden auch einige Arten gezählt, die nicht in der Gruppe der Zwiebelblüher gehören, das sind z.B. Duftveilchen, Kleines Immergrün, Lungenkraut und Schlüsselblumen.
Zur Pflege: Zwiebelblüher möchten nach der Blüte in Ruhe einziehen, das heißt, dass die Blätter gelb und braun werden. So lange sollte auf jeden Fall mit dem Mähen oder Entfernen der Blätter gewartet werden. Nur so können die Zwiebeln genug Kraft für die Blüte im Folgejahr sammeln.
Stinsenpflanzen sind nicht nur eine Augenweide im Frühling, sie sind auch lebendige Zeugen historischer Gartenkultur. Im eigenen Garten wachsen diese Zwiebelblüher willig, viele Leserinnen und Leser haben bestimmt auch große Bestände. Das freut die Insekten im Frühling und das menschliche Herz doch auch, oder?!




